Der Mord im Further Wald
„He, Mattes, breng oos noch jett zo trinke, breng de Schnaps!“ rief der Rote und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Unwillig griff der Ulmener Wirt Mattes zur Flasche und stellte sie mit einem Ruck auf den Tisch vor den Roten, der dort mit seinem finsteren Kumpanen saß,
und die beide ein Glas nach dem anderen leerten.
Mattes mochte die beiden nicht, weder den Rothaarigen, der von einer verfallenen Mühle stammte, noch jenen dunklen Gesellen, von dem keiner wusste, wer er
war oder was er arbeitete. Man erzählte sich, dass seine Wiege irgendwo an der Mosel gestanden hätte. Seit einigen Wochen lungerten sie hier in der Ulmener Gegend herum, benahmen sich wie lichtscheues Gesindel,
gingen keiner Arbeit nach. Nur dem Schnaps, dem sprachen sie kräftig zu. Niemand wusste genau, woher sie Geld hatten, doch alle munkelten, dass es bei den beiden nicht mit rechten Dingen zuginge. Seit sie hier in
der Gegend waren, mehrten sich die Diebstähle in den Häusern und manches Huhn oder Stück Vieh verschwand auf unerklärliche Weise. Sicherlich hatten die beiden Spießgesellen etwas damit zu tun, aber beweisen konnte
das keiner. Sorgfältiger verschlossen die Bürger ihr Eigentum und gingen den beiden möglichst aus den Füßen. Bauern aus dem Bücheler Raum hatten erzählt, wie jähzornig sich diese Galgenvögel auf der letzten Kirmes
geprügelt hätten, und alle hatten Angst, dass diese ihre Drohungen, den roten Feuerhahn ins Dorf zu bringen, wahr machen könnten.
„Könnt ihr denn auch bezahlen, was ihr hier trinkt?“ fragte Mattes die beiden. „Kümmere dich um dich“, motzte der Dunkle mit den stechenden
Augen, „du kriegst schon das, was dir zusteht!“
Der Wirt nahm die Schnapsflasche wieder mit und wandte sich den anderen Gästen zu. Sofort drehte der Rote sich zu seinem Nachbar und flüsterte:
„Hast du noch ein paar Kreuzer in der Tasche? Ich bin nämlich blank wie eine Kirchenmaus!“
Der Schwarze kramte in der Tasche seiner schmutzigen Hose, fand aber nur drei armselige Münzen, die er auf den Tisch knallte. „Das ist alles, was ich habe!
Du weißt doch, der letzte Abend mit der wilden Marie war nicht gerade billig. Kostete so manchen Taler!“
„Dann müssen wir noch mal was arbeiten!“ grinste der Rote.
„Ja, es wird Zeit“, sagte der andere und kniff sein rechtes Auge zu, „nur um Hausen dürfen wir uns in der nächsten Zeit nicht mehr sehen lassen. Ich
hab gehört, die Bauern hätten sich viele Hunde angeschafft, nachdem wir die zwei Rinder mitgehen ließen.“
„Die Schönbacher sollen auch einen Nachtwächter gemietet haben, der aufpasst, dass es keinem mehr so geht wie dem Schmitz, der immer noch nicht glauben
kann, dass sein Sparstrumpf fort ist, haha! Das hast du wirklich fein hingekriegt!“ lobte er seinen diebischen Gesellen.
„Deine Finger sind auch nicht zu kurz geraten“, gab dieser das Lob zurück, „wie du hier auf dem Markt in Ulmen die zwei Geldkatzen den Besitzer
wechseln ließest, war auch nicht von schlechten Eltern!“
„Nun, was nützt jetzt all das Strunzen, trotzdem haben wir jetzt kein Moos mehr. Was meinst du, was wir da machen können?“
Und dann streckten die zwei Galgenstricke die Köpfe zusammen und tuschelten lange. Sie heckten einen teuflischen Plan aus, und als sie dann gegen Mittag die
Wirtsstube verließen, atmete der Wirt Mattes tief auf und mit ihm auch die anderen.
Es war ein herrlicher Frühlingstag. Richtiges warmes Osterwetter. Die Natur erblühte langsam auf in ihrem Grün und lockte nach den langen frostigen
Wintermonaten Mensch und Tier hinaus in Gottes schöne Welt.
Auch Johann Dietzen, Pastor in Uess, nutzte jenen 7. April 1755, um seinen Eltern und lieben Verwandten einen Besuch abzustatten. Gar lange hatte man sich
nicht mehr gesehen, und so war die Freude aller recht groß. Johann Dietzen hatte gut gespeist. Ja, seine Mutter verstand es wie sonst keine, einen leckeren Osterwecken aus bestem Teig zu backen. Mit dem Vater und
den Onkeln wurde noch ein guter Tropfen Mosel auf das Wohl aller getrunken.
Dann stand Johann Dietzen auf, verabschiedete sich von seinen Lieben, denn er hatte noch einen weiten Weg bis nach Uess zu gehen, wo er heute Abend noch die
feierliche Abendandacht halten wollte. Die Mutter umarmte ihren Sohn, auf den sie so stolz war, und Vater Dietzen drückte ihm zum Abschied noch einen Beutel Taler in die Hand, die er zum Wohle der Armen verwenden
sollte. Lange noch winkten sie ihm zu, bis sie ihn auf dem Wege nach Uess nicht mehr sehen konnten.
Kräftigen Schrittes eilte der 43jährige Pastor an jenem Spätnachmittage seiner Pfarrei zu, die er vor zwölf Jahren übernommen hatte. Ihr gehörte sein ganzes
Herz, und er liebte seine Pfarrkinder sehr, die ihn auch mochten und treu auf seine Worte achteten. Es war in der Nähe von Furth, jenem kleinen Weiler hinter Ulmen, als Pastor Dietzen den steilen Weg durch den Wald
hinaufschritt. Mit seinen Gedanken weilte er bereits in Uess und überlegte sich gerade die morgige Predigt, als plötzlich zwei Gestalten hinter Bäumen hervorsprangen und ihm den Weg versperrten.
„Ei, sieh da, welches Vögelchen hat sich denn da in unserem Netz verfangen?“ höhnte der Rote.
„Ich glaube, es ist ein fettes schwarzes Hühnchen“, spottete der Dunkle, „wir sollten es tüchtig rupfen!“
„Was wollt ihr von mir?“ fragte Pastor Johann Dietzen. „Seid friedlich und lasst mich gehen!“
Doch mit finsterem Gesicht kamen die beiden näher. Drohend standen sie vor dem Priester. Kein Friede sprach aus ihren Blicken.
„Wisst ihr, wer ich bin? Erkennt ihr nicht mein priesterliches Gewand? Lasst mich nun in Ruhe und zu meinen Pfarrkindern nach Uess gehen!“
„Ich kenne dich gut, Schwarzkittel!“ zischte der Rothaarige. „Du stammst aus dem Dietzen Haus in Ulmen. Eine feine reiche Wiege hattest du. Hast nie
Not und Elend gekannt, dafür aber zu oft den feinen Klang goldener Taler gehört. Du bist reich und wir sind arm. Nun wollen wir der Gerechtigkeit mal etwas nachhelfen!“ Obwohl den Pastor langsam Angst befiel,
antwortete er mit ruhiger Stimme: „Es stimmt, dass ich aus wohlhabendem Hause stamme, aber wer kann schon was dafür, in welche Wiege einer hineingeboren wird? Jeder gläubige Christ hat aber mit seinen Talenten so zu
wirken, zu arbeiten und zu helfen, wie Gott es gebietet. Und nun lasst mich in Frieden ziehen. Ich habe keine Reichtümer bei mir. Mein Reichtum sind die Seelen meiner Pfarrkinder, deren Wohlergehen und die Schönheit
von Kapellen und Gotteshäusern.“
„Ja, das hab' ich auch schon läuten gehört!“ lästerte der Schwarze, „in Utzerath hast du die Kapelle neu machen lassen und in Uess sollst du den
ganzen Altar vergoldet haben. So eine pure Geldverschwendung. Es wäre besser gewesen, du hättest dein Geld an solch Arme und Bedürftige verteilt, wie wir beide das sind!“
„Geld wie Heu hast du!“ lachte nun der andere bitterböse, „sogar eine Glocke hast du gestiftet. Bim, bim, bam, und nun rück endlich raus, was du bei
dir hast! Aber schnell!“
Und mit frevlerischer Hand packte er den Pastor an seiner Soutane und schubste ihn hin und her.
„Versündige dich nicht!“, warnte Johann Dietzen, „du vergreifst dich an einem Diener Gottes. Ich habe für mich kein Geld. Das, was ich ererbt oder
erhalte, gebe ich meiner Pfarrei und Gott zu Ehren! Heute ist Ostern! Jesus ist von den Toten auferstanden; er hat Tod und Sünde besiegt; er ist auch für euch gestorben, bereut eure Sünden und kehrt um auf den Weg
der Tugend!“
„Spar deine Predigt auf für andere, Pfaff!“ schrie nun voller Wut der Rote.
„Rück endlich deinen Sparstrumpf raus!“ schrie nun auch voller Hass der Schwarze. Noch einmal versuchte Johann Dietzen die Gewalt zu wenden, doch
rücksichtslos schlug der Rote mit Fäusten zu. Ein Schmerzensschrei entrang sich des Priesters Brust. Der zweite Halunke hatte einen Eichenknüppel ergriffen und hieb voller Wucht auf das geweihte Haupt des Priesters,
einmal, zweimal, mehrmals. Blutüberströmt sank der Geistliche in die Knie. Er spürte nicht mehr, wie die zwei verbrecherischen Gestalten ihm mit sündiger Hand Geld und Schmuck, das gesegnete Kreuz und die kräftigen
Schuhe von feinstem Leder entrissen.
Spät abends fand ein Further Bauer den Pastor besinnungslos im Walde liegen. Er lud ihn auf seinen Leiterwagen und trieb die Ochsen an, so schnell sie
konnten, in Richtung Ulmen hin zu der Dietzen Familie, die ihren geliebten Sohn längst in Uess wähnte. Der herbeigerufene Wundarzt schüttelte bedauernd den Kopf, nein, hier konnte er nicht mehr helfen. Allzu schlimm
waren die argen Verletzungen und allzu groß der Blutverlust. Auch der Ulmener Pastor Theodorii wurde gerufen. Er kniete betend bei seinem Freund nieder und spendete ihm die letzte Ölung. Noch einmal schlug Johann
Dietzen die Augen auf, empfing den Leib des Herrn, schaute noch einmal dankbar seine weinenden Eltern an und blickte aufs Kreuz, auf das Zeichen des auferstandenen österlichen Jesu. Friedlich schlief er dann für
immer ein.
Pastor Johann Dietzen wurde in der Uesser Kirche, für die er soviel Gutes getan hatte, beerdigt. Dort ist auch noch sein Grabstein zu sehen. Was aus jenen
beiden schurkischen Mördern wurde, weiß keiner. Die Geschichte wehte sie wohl in alle Welt, doch aus ähnlichen Berichten erfährt man, dass solche Übeltäter stets ein schlimmes, grausames und unnatürliches Ende
fanden, denn Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher!
Alois Mayer / Erich Mertes Sagen und Brauchtum aus der VG Kelberg veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des
Autors Alois Mayer
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