Das Bücheler Haykreuz

Das bequeme Gelübde. - Am Wege von Büchel nach der Moselstadt Cochem stand vor langen Jahren das Haykreuz. Eine arme, kinderreiche Witwe namens Hay hatte es ihrem Mann zu Ehren, der hier verunglückt war, errichten lassen. Manches Jahrzehntstand es da und wurde von den Wanderern fromm begrüßt. Als es aber schließlich alt und morsch wurde, ließ eine Frau aus Büchel es wegbringen. Sie hatte im letzten Winter, als sie ein Reißen in allen Knochen spürte, dem lieben Gott versprochen, das gebrechliche alte Kreuz durch ein weit schöneres zu ersetzen. Einstweilen fütterte sie den Ofen mit dem Holz, und ihre betagten Glieder fühlten sich in der behaglichen Wärme recht wohl.

Es vergingen viele Jahre; ein neues Kreuz wurde immer noch nicht errichtet. Erst als der Tod bei der Frau mit Gicht und Husten anpochte, erinnerte sie sich wieder ihres Gelübdes. Als sie nun über die Ausführung nachsann, sah sie vor dem Hause ihres Nachbarn ein Eichenstämmchen liegen, das sich für ein Kreuz nicht schlecht zu eignen schien. Sie bat den guten Nachbarn, es ihr zu überlassen. "Es ist für einen guten Zweck", sagte sie, und bekam es umsonst. -

Der Frau gegenüber wohnte ein Schreiner. Hier ließ sie das Kreuz anfertigen. Nach ein paar Tagen kam der geschmeidige Meister und verlangte zwei Taler. "Kannst du es nicht unentgeltlich machen?" fragte die Frau, "Es ist für einen guten Zweck." "Gewiß, gewiß", sagte der Schreiner, war einverstanden und schlug die zwei Taler auf drei Biertische, die er für den Wirt Zapfmann in Arbeit hatte. Der Frau zur Linken wohnte ein Anstreicher. Bei ihm ließ sie das Kreuz streichen, und auch er erhielt für seine Arbeit nichts, "denn", so sagte die Stifterin, "es ist für einen guten Zweck", und überhaupt brauchte es ja gar nicht gestrichen zu sein. In zwei Jahren ist die Farbe doch verblaßt. Das fertige Kreuz warf die Frau einem gutmütigen Bauersmann, der gerade vorbeifuhr, auf den Wagen und ließ es durch ihn am Wege aufstellen. - So hatte die Frau ein schönes Gelübde gemacht, aber erfüllt hatten es die anderen Leute.

Im nächsten Monat März nahm unser Herrgott die Kreuzstifterin zu sich. Als sie nun im Jenseits zum Gericht schritt, da sah sie den Ewigen mit ihrem Kreuz in Händen auf sie warten. Vor Freude floß sie bei diesem Anblick über. Wie war ihr Kreuz, wie war sie selbst geehrt! Doch ach! Kaum kniete sie vor dem Allerhöchsten, da legte er das schwere Kreuz auf ihre zitternden Schultern. "Nun zieh", sprach der Richter streng, "mit deinem Kreuz zur Haykreuzflur! Dort trage deine Last bei Winterfrost und Sonnenglut! Von deinen Schultern soll sie nicht sinken, bis mir wieder jemand ein Kreuz dort errichtet, so selbstlos und opferfroh, wie das erste dort aufgepflanzt wurde. Von deinem Kreuz will ich nichts wissen!"

So sprach der Herr, und noch heute trägt die Frau auf der Haykreuzflur ihre drückende Last. Wenn der naßkalte Wintersturm durch die Tannen braust, dann hört der einsame Wanderer deutlich das Klagen und Stöhnen der Unglücklichen. Er beschleunigt scheu seine Schritte und atmet erleichtert auf, wenn das Jammern sein Ohr nicht mehr erreicht.

Der  Grenzsteinversetzer

Leute  von der Martentaler Mühle gingen nach Masburg zur Christmette. Da dieselbe schon nachts zwölf begann, der Fahrweg aber weit und die Nacht kalt war, so wählten sie einen kürzeren Fußpfad, welcher sonst aber gern gemieden wurde, weil er verrufen war und als nicht ganz geheuer galt. Schon waren sie eine geraume Weile gegangen und mochten eine gute Strecke zurückgelegt haben, als sie glaubten, einen Ruf zu vernehmen. Sie stutzten und merkten auf. Da sie aber nichts mehr hörten, setzten sie beruhigt ihren Weg fort. Aber nur einige Schritte taten sie, als plötzlich ein Männlein, glühend wie Feuer, seitwärts durch den Wald schwebte und auf den Fußpfad kam. Gesicht und Körperteile konnten die erschrockenen Leute gut unterscheiden. Funken sprühten von dem Männlein, das, auf dem Pfad angekommen, eine Strecke entfernt vor ihnen ging. Ängstlich blieben die Leute stehen, um zu beraten, was zu tun sei. Die feurige Gestalt aber nahm ihren Weg weiter und die Leute gingen wieder hinter ihr drein. Ihren unheimlichen Führer voran, hatten sie fast das Ende des Waldes erreicht, als das Männlein immer kleiner ward, zu einem Fünkchen zusammenschrumpfte und verschwand. Eben wollten sie den Wald verlassen, da hörten sie über sich den Ruf. „Wohin gehört dieser Markstein?“ Der  beherzteste der Männer wagte zu antworten. „Dahin, wo du ihn genommen hast.“ Ein Stein sauste durch die Luft und fiel in geringer Entfernung von ihnen in die Erde. Zu spät kamen sie zur Christmette, und niemand von ihnen wagte mehr bei nacht den Pfad zu gehen.